Ihr kennt das neue Buch von Nina Hirschlehner noch nicht ? Dann habt ihr hier jetzt die Chance in das 1. Kapitel reinzulesen .
Darum geht es übrigens in dem Buch :
Eine mächtige Hexe herrscht mit eiserner Hand über sämtliche magische Wesen Londons. Wer nicht ihren Vorstellungen entspricht, wird ausgelöscht. Nachdem die zehnjährige Zoey nur knapp dem Tod entgangen ist, sucht sie Hilfe bei einer dunklen Magierin. Zoey will von ihr unterrichtet werden, um sich eines Tages für ihren Verlust rächen zu können. Was sie jedoch nicht weiß, ist, dass die beiden Hexen noch eine ganz eigene Rechnung offen haben.
Dhana
Zufrieden betrachtete
Dhana ihr Werk. Ihr gefiel, was sie da sah. Die Hexen brannten, so wie es ihr
Schicksal wollte. Wie diesen armen Seelen würde es jedem ergehen, der den Nerv
besaß, sich gegen sie zu stellen. Gegen die mächtigste Hexe Englands.
Es war verrückt, zu
glauben, man könnte sich ihr in den Weg stellen. Es gab niemanden im ganzen
Land, der Dhana das Wasser reichen konnte. Das hatte sie heute wieder einmal
unter Beweis gestellt.
Langsam schritt sie durch
die lodernden Körper, durch Schutt und Asche. Behutsam raffte sie ihr langes,
zartrosarotes Kleid, um es nicht mit Blut zu beschmutzen. Schlimm genug, dass
es bereits ein paar Spritzer abbekommen hatte. Aber diese würden mit einem
einfachen Zauber schnell vergessen sein. Genauso wie dieser Aufstand.
Inmitten der Flammen
blieb Dhana stehen und sah sich um. Sie spürte etwas. Ein Lebenszeichen. Sie
waren also nicht alle tot. Aber das ließ sich schnell ändern.
Sie schloss einen Moment
die Augen und atmete tief durch. Neben dem Blut und dem Rauch stieg ihr ein
vertrauter Geruch in die Nase: Angst.
»Es ist ein Mädchen«,
informierte Dhana den Schatten, der ihr bei jedem Schritt folgte. »Finde es.«
Während ihr ständiger
Begleiter sich auf ihren Befehl in Luft auflöste, setzte Dhana ihren Weg fort –
in die Richtung, in der sie den letzten Teil der Rebellion vermutete.
Normalerweise war es
nicht ihre Art, etwas zu übersehen. Aber ganz offensichtlich war Dhana in
diesem Fall ein Fehler unterlaufen. Jedoch würde sie diesen schnell wieder
beheben. Immerhin machte sie keine halben Sachen.
»Na sieh mal einer an«,
meinte Dhana, als sie zu ihrem Gefährten aufschloss, der im Bruchteil einer
Sekunde auch schon wieder in den Schatten verschwunden war. Langsam bekam sie
das Gefühl, er schätzte ihre Gesellschaft nicht. Aber das war eine Sache, um
die sie sich später immer noch kümmern konnte. Zuallererst wollte sie sich auf
das blonde Mädchen konzentrieren, das versteckt im Schatten eines zerstörten Hauses
saß und scheinbar am ganzen Körper zitterte. »Dachtest du wirklich, du kannst
mir entkommen, kleines Mädchen?«
Doch Dhana erhielt keine
Antwort. Das Mädchen hielt stur den Blick von ihr abgewandt, als würde es
dadurch unsichtbar werden.
Dhana schätzte die kleine
Blondine auf etwa zehn Jahre. Vermutlich wusste sie noch nicht, wie man einen
ordentlichen Schutzzauber sprach. Wenn sie etwas älter und erfahrener wäre,
dann hätte sie es womöglich tatsächlich geschafft, sich vor Dhana zu
verstecken. Aber irgendwie war es diesem Mädchen auch gelungen, am Leben zu
bleiben, während all die anderen Hexen des Zirkels qualvoll ihren Tod gefunden
hatten. Und das, so weit Dhana es beurteilen konnte, ohne gröbere Verletzungen.
Das beeindruckte die Hexe.
Vorsichtig kniete Dhana
sich vor dem Mädchen auf den Boden. Es war bedeckt von Staub und Blut
– wahrlich kein schöner Anblick.
»Ich nehme an, du weißt,
wer ich bin. Wie ist dein Name?«
Dhana rechnete schon fast
damit, wieder keine Antwort zu bekommen. Das passierte ihr oft. Immer wieder
erstarrten magische Wesen vor Angst, wenn Dhana ihnen gegenüberstand. Aber
dieses Mal war es anders.
»Zoey«, sagte das Mädchen
zu Dhanas Überraschung. Allerdings immer noch mit abgewandtem Blick. Das Beben
in Zoeys Stimme war nicht zu überhören. Es war wie Musik in Dhanas Ohren.
»Ein schöner Name.« Ihre
Stimme klang sanft, doch Zoey reagierte nicht darauf. »Verrate mir etwas,
kleine Zoey. Wie um alles in der Welt hast du es nur geschafft, zu überleben?«
Wieder kam keine Antwort.
Langsam wurde Dhana ungeduldig. Sie erhob sich und strich ihr Kleid glatt. Mit
diesem Mädchen zu reden, war eindeutig nichts weiter als reine
Zeitverschwendung.
»Wie du willst.« Dhana
streckte ihren Arm aus, woraufhin lodernde Flammen darauf erschienen. Sie
spürte die Hitze des Feuers, aber es verbrannte sie nicht. »Ich bin die
mächtigste Hexe Londons, sogar die Elemente beugen sich meinem Willen. Dass du
dich vor mir verstecken konntest, beeindruckt mich. Ich mache dir ein Angebot,
kleine Zoey. Schließe dich mir an und ich lasse dich am Leben. Du kannst vieles
von mir lernen und eine mächtige Hexe werden. Entscheidest du dich jedoch
dagegen, wirst du sterben. Was meinst du?«
Zum ersten Mal seit
Beginn dieses Gesprächs hob Zoey den Blick und fixierte Dhana. Sie war sich
nicht sicher, was sie in den hellen Augen des Mädchens sah, aber es gefiel
Dhana nicht. Es war nicht der übliche Ausdruck von Angst und Verzweiflung auf
den Gesichtern ihrer Opfer.
»Niemals.«
Dhanas Augen verengten
sich vor Wut und noch im selben Moment schossen Flammen um die beiden herum in
die Luft. Sie war die Königin der Stadt. Sie hatte es nicht nötig, sich
beleidigen zu lassen. Besonders nicht von einer Hexe, die ihr nicht einmal bis
zum Ellbogen reichte!
Die Flammen bildeten sich
zurück, der Rauch verzog sich nur langsam. Doch Dhana traute ihren Augen nicht.
Das Mädchen, das durch ihren Zauber längst tot und verkohlt sein sollte, war
völlig unversehrt.
Noch während Dhana zu
begreifen versuchte, was da eben passiert war, sprang Zoey auf und begann zu
laufen.
»Shadow!« Mit einem Mal
verspürte Dhana eine Unruhe in sich, die ihr ganz und gar nicht gefiel. »Finde
das Mädchen und töte es!«
»Dhana, sie ist nur ein
Kind«, hörte sie die tiefe, ruhige Stimme ihres Begleiters hinter sich, die ihr
augenblicklich etwas von ihrer Anspannung nahm.
»Sie konnte meinem Zauber
widerstehen«, erklärte Dhana wenig begeistert. »Sie ist gefährlich.«
»Nein, du bist
gefährlich«, konterte Shadow. »Lass sie laufen. Was soll sie dir schon anhaben?
Du hast heute ihre gesamte Familie ausgelöscht, allein wird sie hier draußen
nicht weit kommen. Sie wird verhungern oder erfrieren, und das ohne, dass du
dir die Hände schmutzig machst.«
Immer noch angespannt sah
Dhana dem Mädchen hinterher. Sie war immer noch nicht überzeugt. Niemand sollte
stärker sein als sie. Absolut niemand!
Aber Shadow hatte recht.
Was sollte ihr ein kleines Mädchen schon anhaben? Sie konnte rein gar nichts
tun. Sie hatte keine Familie mehr und keine Freunde. Dhana bezweifelte stark,
dass es in London auch nur eine Woche allein überleben konnte. Hexenkräfte hin
oder her. Und das nächste Mal, wenn Zoey ihr über den Weg lief, würde sie sie
töten.
Noch einmal atmete Dhana
tief durch, um sich beruhigen.
»Du hast recht«, räumte
sie dann ein, auch wenn ihr aus irgendeinem Grund nicht wohl dabei war. »Sie
ist keine Bedrohung für mich. Und jetzt lass uns nach Hause gehen. Ich hatte
heute einen anstrengenden Tag und könnte ein heißes Bad gut gebrauchen.«
Zoey
Zoey rannte, bis sie das
Gefühl hatte, ihre Lunge würde platzen. Wenn sie stehenblieb, war sie tot.
Dhana würde kurzen Prozess mit ihr machen – so wie sie es mit all den
anderen Hexen aus ihrem Zirkel getan hatte, die es gewagt hatten, gegen ihre
Terrorherrschaft vorzugehen.
Die Hexenälteste hatte
die anderen doch noch gewarnt. Sie hatte sie daran erinnert, wie mächtig Dhana
war. Aber niemand hatte auf die alte Frau hören wollen. Und nun waren sie alle
tot.
Dieser Gedanke kam so
plötzlich und überwältigend, dass Zoey mit einem Mal keine Luft mehr bekam. Sie
verlor die Kontrolle über ihren Körper, konnte die Welt um sich herum plötzlich
nur noch verschwommen wahrnehmen und – stürzte.
Mit voller Wucht prallte
Zoey am harten Steinboden der Londoner Innenstadt auf. Ihre Hände, das Gesicht
und die Knie schmerzten vom Fall, doch sie blieb einfach liegen. Die Kraft
hatte Zoey verlassen. Sie konnte nicht mehr. Sie konnte nicht mehr laufen,
konnte nicht mehr stark sein.
Tränen liefen
unaufhörlich über ihr Gesicht, als würden sie niemals versiegen. Der Schmerz
tief in ihrer Brust war überwältigend.
Sie war ganz allein.
Es gab niemanden mehr, zu
dem sie sich flüchten konnte. Niemanden, der ihr helfen konnte.
Dhana würde sie finden.
Wenn nicht jetzt, dann irgendwann. Also warum sich verstecken? Warum weglaufen,
wenn es ohnehin kein Entrinnen gab?
Man konnte der
mächtigsten Hexe Londons nicht entkommen. Alle, die es versuchten, hatten dafür
teuer bezahlen müssen. Und das würde Zoey auch.
»Steh auf.«
Erschrocken zuckte Zoey
zusammen, als eine tiefe, raue Stimme durch die dunkle Seitengasse hallte. Es
war spät, sie hatte nicht damit gerechnet, noch jemandem über den Weg zu
laufen.
Ihre Arme zitterten so
stark, dass sie es kaum schaffte, sich aufzurichten. Mit dem Handrücken wischte
sie über ihr Gesicht und hoffte dabei, sich nicht mit Blut aus den frischen
Schürfwunden zu beschmieren. Die Tränen brannten in ihren Augen und
verschleierten ihr die Sicht. Doch dann erblickte sie ihn.
Shadow. Dhanas treuer
Begleiter.
Hastig rappelte Zoey sich
auf. Sie versuchte, die Schmerzen in ihrem Körper auszublenden – einfach
alles auszublenden. Im Moment zählte nur eines: überleben.
»Bleib weg!«, warnte sie
ihn und hob dabei die Hände an. Ihre Arme fühlten sich an, als würden
tonnenschwere Gewichte sie nach unten ziehen. Sie wusste, dass Shadow kein
Hexer war. Das war ihr Vorteil. Das bedeutete aber nicht, dass er deshalb auch
nur einen Funken weniger gefährlich war. »Ich warne dich.«
»Ich bin nicht hier, um
dir wehzutun.« Seine Stimme klang so ruhig, doch darauf fiel Zoey nicht hinein.
Sie musste konzentriert bleiben. Ihre Sinne waren geschärft. Eine falsche
Bewegung und sie war ebenfalls tot.
»Warum bist du dann hier?
Hat Dhana dich geschickt?«
Langsam näherte sich
Shadow ihr, und Zoey wich weiter zurück. Sie wusste, dass sie das nicht tun
sollte. Sie durfte ihm nicht zeigen, dass sie Angst vor ihm hatte. Aber so war
es.
Die untere Hälfte seines
Gesichts war mit einer schwarzen Maske verdeckt, über dem Kopf trug er eine
Kapuze. In der Finsternis war er so gut wie unsichtbar. Deshalb nannte ihn
jeder bloß Shadow. Seine eisblauen Augen strahlten schon förmlich in der
Dunkelheit. Und sie nahmen Zoey ins Visier.
»Dhana will deinen Tod«,
erklärte er. »Das bedeutet, du wirst sterben.«
Zoey schluckte. Wenn er
die Worte aussprach, klang es sogar noch viel schrecklicher als in ihrem Kopf.
Sie wollte nicht sterben. Besonders nicht durch Dhanas Hand.
»Was soll ich tun?« Es
fühlte sich seltsam an, gerade den engsten Vertrauten der bösen Hexe das zu
fragen. Aber Zoey konnte nicht anders. Sie wusste einfach nicht mehr weiter und
er war ihre letzte Hoffnung.
»Geh zu Savannah. Sie ist
eine der mächtigsten Hexen der Stadt, sie kann dir helfen.«
Verwirrt und voller Panik
schüttelte Zoey den Kopf. »Wer ist Savannah?«
»Weißt du, wie man einen
Ortungszauber spricht?«
»Nein.«
Shadow fluchte leise. Es
war, als wollte er ihr tatsächlich helfen. Trotzdem hatte Zoey nicht vor, ihm
zu vertrauen. Er arbeitete für Dhana und das machte ihn automatisch zum Feind.
Dass er sie noch nicht getötet hatte, bedeutete rein gar nichts.
»Hier.« Er griff in die
Innentasche seiner Jacke und zog eine Kette daraus hervor. Daran pendelte ein
ozeanblauer Stein, der Zoey an die Farbe von Shadows Augen erinnerte. »Der
Stein ist dafür gemacht, sein Gegenstück zu finden. Er wird dich zu Savannah
führen.«
Vorsichtig streckte Zoey
die Hand aus und Shadow ließ die Kette fallen. Beinahe erwartete sie, bei der
Berührung unbändige Schmerzen zu verspüren – doch so war es nicht.
Vielleicht war das ja doch keine Falle. Vielleicht wollte Shadow sie nicht
verfluchen oder vergiften oder sonst irgendwie umbringen. Vielleicht wollte er
ihr aus irgendeinem Grund ja tatsächlich helfen.
»Du darfst sie diese
Kette aber nicht sehen lassen. Und sag ihr nicht, von wem du sie hast. Gut
möglich, dass sie dir sonst ihre Hilfe verweigert.«
Zoey biss fest die Zähne
aufeinander. Es gab zwei Fragen, die sie brennend interessierten. Aber sie
konnte sich nicht entscheiden, welche sie zuerst aussprechen sollte. Entweder
warum Shadow das alles tat oder –
»Warum hast du diese
Kette?« Bevor sie sich selbst davon abhalten konnte, hatte sie die Worte auch
schon ausgesprochen. »Ich meine, wenn Savannah mir helfen kann, dann ist sie
keine von Dhanas Verbündeten.«
Shadows Augen
verdunkelten sich bedrohlich und Zoey wich instinktiv zurück. Erst jetzt
erinnerte sie sich an die Schürfwunden an ihren Händen und Knien. Sie wusste,
dass Shadow ein Wesen der Nacht war. Und die wurden in der Regel von Blut
angelockt.
»Verschwinde«, knurrte
er. »Bevor ich es mir anders überlege.«
Hastig ließ Zoey die
Kette in ihrer Faust verschwinden und begann zu rennen. Sie war immer noch ein
wenig außer Atem von ihrem ersten Sprint, aber das hielt sie nicht davon ab,
ihr Bestes zu geben. Immerhin rannte sie hier buchstäblich um ihr Leben.
Der Stein in ihrer Hand
schien seine Wirkung zu zeigen. Auch wenn Zoey nicht ganz verstand, wie das
funktionierte, wusste sie plötzlich instinktiv, wohin sie laufen musste.
Blieb nur zu hoffen, dass
ihr Weg sie nicht direkt in eine Falle führte.
Savannah
Die Tropfen, die vom
Himmel fielen, donnerten mit aller Kraft gegen die Fensterscheiben des Hauses
und das Glas zitterte unter der Wucht des Aufpralles. Vielleicht sollte ich
Angst haben, dass es brechen könnte, überlegte ich, verwarf diesen Gedanken
jedoch schnell wieder. Noch hielt es ja. Es gab also keinen Grund zur Sorge.
Der Regen heute Nacht war
so stark, dass sogar die Stromversorgung vor zwei Stunden kleinbeigegeben
hatte. Es war nun kurz vor Mitternacht, vermutlich war ich die Einzige in der
näheren Umgebung, die den Stromausfall überhaupt bemerkt hatte. Alle anderen
hatten sich bestimmt schon schlafen gelegt – was sollte man bei so einem
Wetter auch sonst tun?
Am liebsten wäre ich auch
schon vor Stunden ins Bett gegangen. Doch ich wusste, dass es keinen Sinn
hatte. In dieser einen Nacht im Oktober lag ich jedes Jahr wach – unfähig,
Ruhe zu finden.
Ich warf einen Blick aus
dem Fenster. Die Straße vor dem Haus war bereits völlig überflutet. Wasser
quoll aus den Kanälen und formte sich zu einer Art selbstständigem Fluss, der
alles mitriss, was ihm in die Quere kam.
Ich konnte beim besten
Willen nicht sagen, warum, aber mir gefiel dieses Wetter. Das laute Dröhnen des
unaufhörlichen Regens wirkte irgendwie beruhigend auf mich. Außerdem gefiel mir
der Gedanke, dass endlich der ganze Unrat von den Straßen geschwemmt wurde. Ich
war schon auf das Chaos gespannt, das diese Flut morgen auslösen würde.
Bestimmt würden die Leute ausflippen, sollte das Wasser den einen oder anderen
Gartenzwerg davon gespült haben. Dabei sollten sie dem Regen dankbar sein,
immerhin bereinigte er ihre Gärten von Müll.
Einen Moment lang blieb
ich noch am Fenster stehen und beobachtete das wilde Unwetter, bevor ich mich
umdrehte und durch das dunkle Wohnzimmer in die Küche marschierte.
An manchen Ecken hatte
ich meine dicken, schwarzen Kerzen angezündet, die ich am liebsten mochte. Zum
einen gefiel es mir nicht, völlig im Dunklen zu tappen, und zum anderen wollte
ich es mit der Beleuchtung auch nicht übertreiben. Ich konnte es nicht
ausstehen, geblendet zu werden. Außerdem sollte nicht jeder schon von Weitem
sehen, dass ich noch wach war.
In der Küche brannte nur
eine einzige Kerze, die auf dem Tisch stand. Dicke Wachstropfen rannen langsam
daran hinab und sammelten sich auf dem alten Holz.
Mein Körper verspannte
sich unangenehm. Das Wachs machte meinen Tisch kaputt!
»Aufhören«, befahl ich,
woraufhin der Tropfen, der gerade an der Kerze hinabrollte, auf halbem Weg
stehenblieb. »Zurück an deinen Platz. Alles.«
Es dauerte einen Moment,
doch dann zog sich der Tropfen gemächlich wieder zurück, bis er sich unter das
flüssige Wachs direkt unter der Flamme mischte. Auch die bereits angetrocknete
Masse am Fuß der Kerze begann sich langsam wieder zu verflüssigen und sich
seinen Weg nach oben zu bahnen.
Zufrieden wandte ich der
Kerze den Rücken zu, um das zu tun, weswegen ich erst in die Küche gekommen
war. Ich griff nach dem schweren, alten Teekessel und füllte etwas Wasser
hinein, um es dann über dem Feuer zum Kochen zu bringen.
Kaum hatte ich den Kessel
jedoch über der Feuerstelle platziert, vernahm ich ein leises Klopfen, das sich
vom monoton dröhnenden Regen abhob.
Mein Blick wanderte durch
den Raum, da ich das Geräusch zunächst nicht zuordnen konnte. Dann wurde mir
jedoch klar, woher es gekommen war.
Anspannung machte sich in
mir breit, als ich auf die Tür zu marschierte. Wer sollte mich um diese Uhrzeit
noch stören? Wer auch immer es war, er würde es garantiert bereuen.
Ich riss die Tür auf,
doch mein Blick fiel ins Leere. Etwas verwirrt schlang ich meine Jacke enger um
meinen Körper, bis ich realisierte, dass ich gar nicht allein war. Da stand ein
Mädchen vor meiner Tür. Es hatte blondes, völlig durchnässtes Haar und reichte
mir gerade einmal bis zur Hüfte.
»Solltest du um diese
Uhrzeit nicht schon längst im Bett sein, Kleine?«, wollte ich wissen und sah
mich dabei unauffällig in der Straße um. Es konnte nicht sein, dass ein kleines
Mädchen um Mitternacht allein in den Straßen Londons herumirrte. Besonders bei
diesem Wetter.
»Bist du Savannah?«
Meine Augen verengten
sich misstrauisch und ich war kurz davor, dem Mädchen die Tür vor der Nase
zuzuschlagen. Doch etwas hielt mich davon ab. Vielleicht war es der Geruch von
Blut, der in der Luft lag. Das Mädchen musste gestürzt sein. Da waren
Schürfwunden an seinem Kinn und den Knien.
»Ich wüsste nicht, was
dich das angeht.«
»Ich habe von dir
gehört«, erwiderte das Mädchen unbeirrt.
Ich fragte mich, wie alt
es wohl war. Neun Jahre? Zehn? Vielleicht älter?
»Du bist eine der
mächtigsten Hexen Londons. Ich will, dass du mich unterrichtest.«
Genervt verzog ich das
Gesicht. Darum ging es also.
»Ich unterrichte nicht«,
erklärte ich dem Mädchen und griff bereits nach der Tür, um sie zu schließen.
»Jede Hexe muss sich selbst beibringen, ihre Kräfte zu kontrollieren. So etwas
wie Hogwarts gibt es nicht. Auch wenn es sich schön anhört. Ich kann dir
nicht helfen.«
»Mein Name ist Zoey
Hensley«, sagte das Mädchen und machte einen Schritt nach vorne, sodass es
direkt zwischen Tür und Angel stand und ich es nicht aussperren konnte, ohne es
dabei zu verletzen. »Meine Familie ist heute gestorben und ich habe keinen Ort
mehr, an den ich gehen kann. Ich brauche dringend Hilfe.«
»Das tut mir ja leid für
dich, aber –«
»Ich will, dass du mich
lehrst. Ich will so stark werden wie du, damit ich eine Chance gegen Dhana
habe.«
Eine Sekunde lang stockte
mir der Atem, als Dhanas Name fiel. Schweigend betrachtete ich das Mädchen –
Zoey. Sie glaubte tatsächlich, es mit Dhana aufnehmen zu können? Das war
Irrsinn! Selbst mit meiner Hilfe würde sie es niemals schaffen, die mächtigste
Hexe Londons zu besiegen. Sie würde kläglich scheitern und sterben, so wie ihre
Familie.
Genau das wollte ich ihr
auch klarmachen, aber etwas hielt mich davon ab. Da war etwas in Zoeys Augen,
das mich zögern ließ. Ich sah Kampfgeist in ihr. Zoey würde sich nicht so
einfach abwimmeln lassen, was, angesichts der Umstände, alles andere als klug
war.
»Du willst dich mit Dhana
anlegen?«, versicherte ich mich noch einmal und Zoey nickte entschlossen. Wie
war es möglich, dass sie keinerlei Angst vor Dhana oder ihren Kräften hatte?
Sie war eine der stärksten Hexen der letzten Jahrhunderte. Ein wenig Ehrfurcht
wäre durchaus angebracht. »Du wirst niemals eine Chance gegen sie haben.«
»Doch«, erwiderte Zoey
völlig überzeugt. »Wenn du mich unterrichtest.«
Ungläubig schüttelte ich
den Kopf. »Nicht einmal ich würde mich freiwillig mit Dhana anlegen. Wer es
versucht, muss verrückt sein. Und jetzt geh nach Hause, du verschwendest deine
Zeit.«
»Ich gehe nicht, bevor du
mir nicht versprochen hast, mich zu unterrichten!«
Ich spürte, wie das Blut
in meinen Adern zu brodeln begann. Zoey hatte doch behauptet, zu wissen, wen
sie vor sich hatte. Warum um alles in der Welt glaubte sie, an mich Forderungen
stellen zu können?
»Dhana wird kommen um
mich zu töten, so wie sie jedes einzelne Mitglied meiner Familie getötet hat«,
sprach Zoey weiter, als ich ihr keine Antwort gab. »Sie wird kommen. Egal ob du
mich unterrichtest oder nicht. Die Frage ist nur, ob ich dann stark genug bin,
mich zur Wehr zu setzen.«
Ich wusste nicht, warum,
aber irgendwie fand ich Gefallen an dem Mädchen. Vielleicht, weil Zoey mich ein
wenig an mich selbst erinnerte. Vielleicht, weil sie viel zu erwachsen für ihr
Alter wirkte. Vielleicht aber auch, weil sie eine Kämpfernatur war. Zoey würde
sich Dhana nicht kampflos ergeben, das war schon mal sicher.
»Wenn es dir so ernst
ist«, setzte ich etwas widerwillig an, »dann komm rein. Wir haben einiges zu
besprechen.«
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